Sueddeutsche Zeitung -
Graffiti am Brückenpfeiler, Kunst in Dosen

Mit neuen Graffiti-Kunstwerken werden die Pfeiler der Brudermühlbrücke verziert. Foto: Stephan Rumpf
 

Es ist eine ungewöhnliche Karawane, die an diesem kalten Samstagmittag langsam durch die Sachsenstraße an der Isar zieht. Sechs mit Schals und Kapuzen vermummte junge Männer, einer von ihnen trägt eine Leiter, ein anderer schiebt einen randvollen Einkaufswagen vor sich her.

Der Tag ist grau, doch daran werden die sechs gleich etwas ändern. Ihr Ziel ist die Brudermühlbrücke, und sie haben Spraydosen dabei; einhundert Stück, in allen Farbtönen.

Anführer der Karawane ist Wolfgang Lehnerer, der Mann mit den kurzen schwarzen Haaren, dem feinen Kuranyi-Bärtchen und einem mit Farbspritzern befleckten Kapuzenpullover. Der 41-jährige freie Künstler organisiert seit elf Jahren die Vergabe der Brückenpfeiler – immerhin eine Fläche von etwa 400 Quadratmetern, die von den Graffiti-Sprayern in München legal besprüht werden darf.

Einmal pro Jahr übernimmt die Stadt zusätzlich die Kosten für einen neuen Anstrich – dafür erhalten die Isar-Spaziergänger eine Outdoor-Ausstellung gratis: Zwölf Bilder, jedes mit einer Größe von etwa 35 Quadratmetern.

„Für eine Wand braucht man 50 Dosen“, sagt Lehnerer. Seit zwei Wochen sind er und die von ihm ausgewählten Sprayer nun wieder am Werk.

Die Karawane stoppt unter der Brudermühlbrücke und teilt sich auf. Vorne beim Fußweg stellen zwei die Kartons mit Spraydosen ab, steigen auf die Leiter und überstreichen mit breiten Malerrollen ein altes Bild. Die drei übrigen rumpeln mit dem Einkaufswagen weiter bis zum Pfeiler direkt am Wasser, packen Bier, Schokolade, Baguette aus und grundieren ihre Fläche blau.

Auf Lehnerers Wand („Ich habe mir eine weiter hinten ausgesucht, die kann man besser sehen.“) sind auf dem hellblauen Grund erst ein paar vereinzelte gelbe Linien zu sehen. „Der erste Strich ist immer der schönste“, sagt er. Zunächst müsse man die Proportionen skizzieren, dann die Buchstaben ausmalen und sie am Schluss noch mit Figuren und Gegenständen verzieren.

Bei der Kunstform Graffiti, die in den siebziger Jahren in New York zum ersten Mal auftauchte, dreht sich alles um Worte. „Der Mensch in der Großstadt hat damals seinen Namen auf Häuserwände geschrieben, um nicht mehr so anonym zu sein“, sagt Lehnerer. Die Schriften wurden immer größer, begannen sich auf Bussen und U-Bahnen auszubreiten und gelangten Mitte der achtziger Jahre nach Europa.

Der zweifache Vater Lehnerer sprüht seit 24 Jahren, nennt sich auf den Bildern „z-rok“. Auch auf seiner bisher noch sehr blauen Wand an der Brücke wird sich dieser Schriftzug wieder finden.

Allerdings können manchmal nur Insider die Worte lesen. Denn die Buchstaben werden möglichst kunstvoll verbogen und verzogen, so dass man sie als Laie manchmal schon nicht mehr entziffern kann.

Ein Pfeiler ist bereits seit ein paar Wochen neu bemalt. Drei klobige weiße Namen sitzen auf einem riesigen Haufen Goldtaler, dazwischen ein grünes hässliches Männchen und ein Tresor. Die Buchstaben seien etwas langweilig geschrieben, findet z-rok.

Der Sound zu den Sprüharbeiten unter der Münchner Brücke ist original. US-Hip-Hop groovt aus einem alten Kassettenrekorder. Oben rumpeln dazu die vorbeifahrenden Autos, unten klingt in regelmäßigen Abständen ein „Klickeklickeklickepffffffd“.

Z-rok schüttelt seine Spraydose ein paar Mal, „um Lösungsmittel und Farbe zu vermischen“. Dann zieht er einen gelben Strich, geht drei Schritte zurück, betrachtet die Linien ein paar Sekunden aus der Entfernung. Die Proportionen stimmen, und er sprüht mit ausladenden Armbewegungen weiter. Für so ein Bild brauche er acht Stunden, sagt z-rok.

Es riecht inzwischen nach Farbe unter der Brücke. Einer der Sprayer hat eine Atemmaske auf, die anderen Jungs haben sich gegen den kalten Wind ihre Mützen ins Gesicht gezogen.

Nur wenige Spaziergänger kommen an diesem Mittag vorbei; die aber bleiben stehen und gucken neugierig. „Zu 90 Prozent sind die Reaktionen positiv“, sagt Lehnerer. Natürlich gebe es aber auch einige, die bei der Polizei anriefen. „Die brüllen dann ganz hektisch ‚Da sprühen welche!‘ in ihr Handy. Aber die Polizei weiß Bescheid.“ Lehnerer lacht. Die Brückenpfeiler hat das Baureferat schon vor langer Zeit als Malfläche freigegeben.

Einmal musste z-rok sein frisches Bild sogar vor einem Hund schützen. Dem gefiel das Kunstwerk so gut, dass er es gleich mit seiner Duftmarke veredeln wollte. Und eine Japanerin hat ihm erzählt: „Ich habe vor ihrem Bild wunderbar meditiert.“ Mal sehen, welche Reaktionen die Bilder bei den Herbstspaziergängern in diesem Jahr hervorrufen.

(SZ vom 3./4. November 2007)